Eigentlich wollte ich hier eine lustige und kurzweilige Geschichte von den jungen Hühnern erzählen, aber es kam dann doch anders. Seit zwei Jahren hatte ich keine Nachzucht mehr, am Anfang waren es auch nur Drei. Mehr Küken sind nicht geschlüpft von dem ersten Gelege aus 10 Eiern, und nach einigen Tagen stellte sich heraus, es waren 2 Hähne und ein Huhn. Schade, dachte ich, Eier werden die Zwei wohl nicht so viele legen, aber vielleicht im nächsten Frühjahr in der Pfanne schmurgeln.
Nicht lange später saßen wieder zwei Hühner auf den Eiern und wollten sie nicht hergeben, als ich abends zum Einsammeln kam. Schnell war ein zweiter abgetrennter Brutbereich gezimmert, damit die Mädels für die nächsten 21 Tage ihre Ruhe hatten. Aus den 16 Eiern entwickelten sich tatsächlich 10 kleine Piepser, braune, schwarze und ein weißes, auch wenn ich nur einen Gockel hatte. Stolz war ich dennoch, nun 13 junge Tiere mit meinen 13 alten bekannt machen zu können.
Es kam die Zeit, da schafften es die Kleinen, die 20 cm bis zur Klappe hoch zu springen, um die große weite Welt zu erobern, immer im Schlepptau der Mutter, die sie fleißig anlernte, Körner zu picken und das Federkleid zu putzen. Noch waren sie so klein wie ein Gänseei und immer unter Obhut, dennoch fehlte bei einem der abendlichen Vollzähligkeits-Appelle auf einmal eins! Obwohl alle 5 Gänse mit geholfen haben zu suchen, es war weg. Da waren es nur noch 25!
Die Tage gingen dahin, die Piepser wurden groß und größer, halbwüchsig hätte man sagen können. Eine Freude, endlich mal wieder was los beim Winzer. Und dann ging es plötzlich richtig ab: eher in vorherbstlicher Ruhe spazierte ich einmal auf dem neu angelegten und vergrößerten Auslauf hinterm Grasdach, da stand ich plötzlich vor einem Kreis von Federn. Ein sauberer Kreis ohne Haut und Knochen, nur Federn. Erstes Unbehagen kam in mir auf. War es ein Fuchs? Nein, der Zaun war im Boden versenkt und dicht. Ein Marder? Nein, der schleppt kein Halbwüchsiges weg, zieht ihm schon gar nicht vorher den Pullover aus. Also konnte es nur etwas sein, das in den Lüften schwebt?! Da waren’s nur noch 24!
In Unruhe lief ich am nächsten Tag wieder an die Stelle, um sicher zu sein, nicht geträumt zu haben. Unter einem Busch in der Nähe fand ich einen weiteren Federkreis ohne den dazu gehörigen Besitzer. So langsam stellten sich bei mir die Haare. Da waren’s nur noch 23!
Jäger und Sammler waren wir vor nicht allzu langer Zeit – der Jäger kam langsam, aber klar und deutlich in mir hoch. Tagsdrauf hörte ich aufgeregtes Gekackere, nicht wie sonst aus dem Hühnerstall nach dem Eierlegen, sondern aus den Büschen. Etwas Größeres flog plötzlich aus dem Kirschbaum und ward nicht mehr gesehen. Nicht weit davon lag sein Opfer, aber der Teller war schon so gut wie leer. Na klasse – nur noch 22!
Puuh. Gut durchatmen. Reste vergraben, Schnaps trinken, nachdenken. Wie krieg‘ ich den Kerl, wie kann ich ihm vermitteln, dass das nicht mehr lustig ist. Wenn ich so ein Vogel wäre, ich würde wahrscheinlich auch an der Quelle mein Wasser trinken – nur ich bin kein Vogel. Also was machen? Jäger fragen im Dorf, klären, was für ein Raubvogel es sein könnte, wann er seine Beute schlägt, was er zum Nachtisch gerne verspeist und so. Einen Tag später fehlt wieder ein altes und ein junges Huhn. Da waren’s nur noch 20!
In heller Aufregung surfe ich im Internet nach Abwehrmaßnahmen und finde vielfach nur die selbe trostlose Geschichte, die ich gerade durchmache. Und wir sollten doch froh sein, dass es noch ein paar Greifvögel gibt. Ich weiß ja, dass sie geschützt sind, aber mal so richtig den Hosenboden versohlen, da hätte ich schon die Lust dazu. Tagsdrauf beim abendlichen Füttern wollen die Gänse und Hühner nicht so recht beikommen von der Wiese. Ok, auf dem Weg zum Stall lag wieder ein leerer Korpus, wieder ein Eierleger weniger. Da waren’s nur noch 19.
Zum Glück ist die Flasche Schnaps noch nicht leer. Heute hab ich nun 240 Meter gelbe Wäscheleine gekauft und den engeren Stallbereich spinnennetzartig überspannt, auf dass sich der Vogel irritiert und kopfschüttelnd abwendet und beim nächsten Hühnerstall anklopft. P’eifedeckel. Kurz vor Sonnenuntergang wollte ich noch mal nach dem Rechten schauen und beginne gerade mich mit den letzten Hühnern zu unterhalten, die sich im Auslauf vor dem Stall befinden, als plötzlich alles, was Federn hat, explosionsartig durch die Gegend fliegt. Bis ich begreife, war der Vogel schon wieder weg. Er muß 3 Meter von mir weg gewesen sein, saß auf dem obersten Draht der Rebzeile und wollte gerade zum Abendmahl übergehen. Er hat mich weder begrüßt noch sich in angemessener Form verabschiedet. Er hinterlässt nur in mir das dumpfe Gefühl, dass ich ihm nicht das letzte Mal begegnet bin…